Einsamkeit

dramapproved • 9. März 2020

Einsamkeit ist für mich kein negativ belastetes Wort, im Gegenteil: Eigentlich bin ich gern allein, eigentlich. In letzter Zeit bin ich einsamer als je zuvor, obwohl ich nicht unbedingt allein bin. Ich stelle mir oft die Frage ob, meine Entscheidung mein Leben im Internet zu teilen dazu beigetragen hat.

Das ist lustig, denn es heißt: Social Media. Wie sozial sind die sozialen Medien? Wie sozial bin ich noch?

Ich würde mich selbst als offen und umgänglich beschrieben, wenn ich möchte und wenn ich kann. In letzter Zeit kann ich nicht mehr, gefühlt nichts mehr. Mein Versuch der Welt zu zeigen wie ich Sie sehe, hat Spuren hinterlassen. Ich bin nicht nur an meine Grenzen gestoßen, ich habe sie täglich überschritten.

Das hat mir viel gebracht: neue Kontakte, ein neues Umfeld, ich bin viel rumgekommen und viele ermutigende Worte. Oft allerdings unter der Prämisse, dass ich Leistung erbringe. Leistung, die ich nicht mehr dauerhaft erbringen kann.

Das führt mich zu mir, allein in meinem Bett, isoliert. In einer Zeit in der viele Menschen wegen eines Virus isoliert sein müssen. Ich habe in einem Gespräch mit meiner Mutter ganz unbedarft gesagt: "Mir würde niemand Lebensmittel bringen, wenn ich in Quarantäne bleiben müsste." Und das habe ich, leider, auch so gemeint.

Manchmal sehne ich mich in meine Schulblase zurück, in der meine größte Sorge war, dass man nicht genug Taschengeld für coole Klamotten hatte, oder wessen Eltern uns nachts von der Party im Nachbardorf abholen. Ich sehne mich nach einer Zeit, in der ich nicht verstanden habe, warum man sich nicht bei seinen Freunden oder Bekannten meldet. Aber seien wir mal ehrlich, früher waren alle Freunde.

Heute kenne ich eine Menge Gründe. Angefangen mit: Du hattest einen Autounfall, bist Rentner und hast wirklich keine Lust zu lügen, wenn dich jemand fragt, wie es dir geht. Meine Antwort darauf lautet meistens "okay" oder "schlecht" und deswegen melde ich mich lieber gar nicht. Manchmal, wenn es ganz schlecht um mich bestellt ist, denke ich auch, dass Leute schlecht über mich denken, oder Sie meine Situation unangenehm finden, sonst würden Sie sich melden. Ein anderer beliebter Gedanke in meinem Kopf ist, dass Menschen meinen Internetauftritt affig finden.

Dieser Gedanke ist immer etwas schwierig für mich, weil die Entscheidung über Krankheiten, Diagnose oder eben keine Diagnose aufzuklären für mich sehr wichtig erscheint. Denn die häufigste Reaktion ist "Du hattest vor vier Jahren einen schweren Autounfall, dann müsstest du doch jetzt gesund sein." Ich bin keine Ausnahme, es ist sehr wahrscheinlich, dass ich genau so gedacht habe.

Versteht mich nicht falsch, mir hat noch nie jemand gesagt, dass mein Internetauftritt als lächerlich empfunden wird. Das denke ich mir, weil ich Angst davor habe. Was mir gesagt wird ist, dass das kein Potenzial auf dem Markt hat, aber sowas ist mir egal, dann denke ich "Jetzt erst recht!"

Ein anderer Aspekt sind die Menschen, die mir nahestehen. Ich merke wie sehr meine Situation, meine instabile Verfassung, schlechte Nachrichten und die Umstände sie belasten. Menschen, die mich mögen, möchten, dass es mir gut geht, aber das ist schwierig. Schwierig, wenn ich die Balance zwischen Überlastung und einen für mich meisterbaren Alltag nicht finde. Schwierig, wenn mein gesundheitlicher Zustand sich verändert. Schwierig, wenn ich es eigentlich nur jedem recht machen will und am Ende alle traurig sind.

Wie ihr vielleicht merkt, bin ich überfordert. Gleichzeitig  überfordere ich die Menschen in meinem Umfeld auch oft, weil ich meine eigenen Grenzen habe, ihnen nicht ins Gesicht lächele und Lüge, wenn Sie mich fragen wie es mir geht und weil die Wahrheit ein unangenehmes Thema ist. Und seien wir mal ehrlich: Wer will das hören?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenig Leute unangenehme Sachen hören können und wollen. Socialmediaexperten sagen "sowas gehört nicht ins Internet". Warum teile ich also diese verwirrten deprimierenden Gedanken mit euch?

Weil ich glaube, dass viele von euch sich diese Gedanken machen. Ob krank oder nicht Unsicherheit ist unser aller Begleiter. Und ich kann sagen, dass ein Teil davon Schwachsinn ist. Natürlich könnten sich mehr Menschen bei mir melden, aber vielleicht denken die das Gleiche von mir. Oder sie haben einfach keine Lust mehr auf die Gesellschaft von einem Menschen, der einen Großteil seiner Zeit mit Schmerzen im Bett verbringt, das ist in Ordnung.

Ich bin immer noch eine super Kaffeetrinkgesellschaft. In meinem Rentnerleben passieren ab und zu noch sehr lustige Sachen, obwohl ich überwiegend beim Arzt bin. Ich habe auch Gesprächsthemen außerhalb von Krankheit und an einem guten Tag bin für jeden Scheiß zu haben, wenn man nicht schnell rennen muss.

Falls ihr das also lest und ich mich ewig nicht bei euch gemeldet hab, dann wegen meines falschen Stolzes. Falls ich euren Geburtstag vergessen hab: Herzlichen Glückwunsch, ich hoffe ihr hattet einen wundervollen Tag! Es tut mir leid, mein Gehirn macht leider nicht mehr so gut mit, wie ich es gern hätte.

Da wären wir bei den Erwartungen. Neben Erwartungen von Anderen sind die Eigenen die schlimmsten, wenn man ihnen nicht gerecht werden kann. Und jetzt kommen wir zu der Zeit, in der ich still geworden bin: Still auf Socialmedia, still im Privatleben.                                                                       Vielleicht kennen das einige: man redet, aber man sagt nichts mehr. Auf meinen Socialmeidaprofilen hab ich nur noch was gesagt, wenn ich auf Veranstaltungen war. Da hatte ich eine Aufgabe, sonst war ich leer.

Ich war am Ende meiner Kräfte und habe versucht die Maschinerie am Laufen zu halten, bin zu Medizinveranstaltungen gegangen, habe mich gut unterhalten. Das ist mein Ding: Ich rede mit Fachleuten über mein Thema, das ist wirklich nicht lustig, und sie gehen aus dem Gespräch und hatten einen netten Abend.

Danach Leere und Fragen: kann man Socialmedia, Lifestyle und Patientenrechtevertretung überhaupt zusammen bringen?

Man steht im Leben manchmal vor Fragen, die einem keiner beantworten kann. Und vor unangenehmen Wahrheiten, die die eigene und die Akzeptanz deines Umfelds auf die Probe stellen.

Ich hatte das Gefühl niemanden Fragen zu können, weil niemand genau dieses Thema bedient. Mein enges Umfeld kennt sich nicht aus und ich hatte Angst Kontakte zu nerven. Auch da heißt es: weg mit dem Schamgefühl und fragen. Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Jemand antwortet nicht? Jemand ist genervt? Passiert.

In meiner Isolation ist mir mein positives Denken verloren gegangen.

Jetzt sitze ich hier mit vielen Erkenntnissen:

    • Wenn du das Beste aus einer Situation machst, geht es dir besser.

    • Bestimmte Menschen sind in bestimmten Lebensphasen da und das ist okay.

    • Wenn du schwere Zeiten durchmachst, solltest du vielleicht nicht aufhören dich bei deinem ganzen Umfeld zu melden.
    • Fragen kostet nichts.
    • Hör auf dein Bauchgefühl.
    • Es ist okay, wenn du Pausen brauchst

    • Sag deinem Kopf, dass er auch mal Pause vom Denken machen kann.

    Es ist okay manchmal nicht klarzukommen, solange du wieder aufstehst, denn das Leben ist zu schön um liegenzubleiben und sich für Sachen zu schämen, für die du nichts kannst und die du nicht ändern kannst. Schwierige Lebensumstände erwarten viel Toleranz und Verständnis von deinem Umfeld, aber in erster Linie solltest du die dir auch selbst entgegenbringen. Und das ist eine Aufgabe die du dein Leben lang mal mehr und mal weniger gut meistern wirst.

    Ich habe beschlossen diese Aufgabe besser zu meistern, mich wieder zu öffnen und wieder anzufangen Regenbögen zu kotzen, denn so funktioniert die Welt für mich besser. (Entschuldigt meine Ausdrucksweise, Regenbögen kotzen = positiv bleiben)

    Am Ende des Tages muss jeder selbst herausfinden, wie er das Leben am besten meistert.

    Und für alle, die sich fragen: Hast du keinen Psychologen? Ja, ich habe eine Psychologin und auch sie findet mein Leben schwierig. Ich kann euch empfehlen euch Hilfe zu suchen, auch wenn es keine konkrete Lösung gibt, gibt es Strategien, die es leichter machen Umstände zu akzeptieren.

    Ob mir jetzt jemand Lebensmittel bringen würde oder nicht, weiß ich nicht. Entscheidend ist, dass ich bereit bin aus meinem Schneckenhaus zu kriechen. Manchmal wohnen deine engsten Bezugspersonen mehrere 100km entfernt und dann gibt es Lieferdienste. Auch das passiert.

    Ich antworte jetzt auf die WhatsApp Nachricht meiner Mutter, obwohl ich schon wieder denke "Oh Nein, Menschen" Hab dich lieb Mama.

    Keep loving, Drama  🌹

    Bild von Vöglen auf einem Altroasa Himmel, am unteren Rand ist ein angeschnittees Gebäude, eine angeschnitte Laterne und eine angeschnittene Ampel